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Quit Quitting: Innere Kündigung oder doch nur sinnvolle Burnout Prophylaxe?

 

Der Begriff Quiet Quitting tauchte vor einigen Monaten plötzlich in den sozialen Medien auf und verbreitete sich rasch.

Geprägt hat ihn ein junger Mann aus den USA der sich auf Tiktok Zaid Zeppelin nennt. Und er traf damit den Puls der Zeit. Mehr als 3,5 Millionen Mal wurde sein Video angeklickt und der Begriff „Quit Quitting“ geht seither um die Welt.

Im deutschsprachigen Raum wurde der Begriff oft übersetzt als „innere Kündigung“, was es aber nicht genau trifft.

Ich würde es eher übersetzen als „stille Verweigerung“.

Was soll also verweigert werden?

Etwa das, was wir aus vielen Jobinseraten kennen. Die Bereitschaft die „Extra Meile“ zu gehen.

"Die extra Meile gehen" bedeutet in erster Linie eine ausgeprägte Loyalität zum Unternehmen aufzubringen und die Bereitschaft auch über den definierten Arbeitsvertrag hinaus für das Unternehmen engagiert zu sein.

Als Psychotherapeutin kenne ich die Thematik aus vielen Gesprächen mit Menschen, die von Burnout betroffen oder davon gefährdet sind.

 

Quit Quitting als Möglichkeit Grenzen zu  setzen

Eine Frage, die in der psychotherapeutischen Praxis häufig gestellt wird ist:

Ist es möglich auf mich zu schauen und meine Grenzen zu wahren, und trotzdem meinen Arbeitsplatz zu behalten oder gar beruflich erfolgreich zu sein?

Für viele Menschen schien und scheint das in den letzten Jahrzehnten schwer vereinbar zu sein. Burnout ist in vielen Jobs zu einem großen Risiko geworden.

Ich möchte allerdings davon Abstand nehmen, dies als vorwiegend individuelles Problem zu sehen.

Auch wenn wir gefordert sind, für uns persönlich Grenzen zu setzen, ist das Thema eingebunden in einen gesellschaftlichen Kontext.

 

Wie hat sich die Arbeitswelt entwickelt?

Die Arbeitswelt war stets Veränderungen und Entwicklungen unterworfen.

Um die Jahrhundertwende haben Begriffe wie „Beschleunigung“, „New Economy ,“„Flexibilisierung“ und „Ich- AG“ Einzug gehalten.

Für die arbeitenden Menschen bedeutet das vielfach, dass Eigenschaften wie Selbständigkeit, Einsatzbereitschaft, Risikofreude und Flexibilität immer mehr vorausgesetzt wurden. Lebenslanges Lernen ist in vielen Berufen zu einer Voraussetzung geworden um nicht abgehängt zu werden.

Was das für die menschliche Psyche bedeutet, wurde erst nach und nach sichtbar.

 

Quit Quitting und Loyalität


Als junge, angehende Therapeutin habe ich in den 90er Jahren arbeitslose Menschen auf ihrem Weg zurück ins Arbeitsleben unterstützt.

Und es sind mir damals viele Menschen begegnet, die im Job lange Jahre alles gegeben haben.
Produktionsmitarbeiter, die für jede Extraschicht zur Verfügung gestanden sind, wenn das Unternehmen sie gebraucht hat.
Buchhalterinnen, die immer wieder abends solange am Schreibtisch gesessen sind, bis ein Fehler gefunden wurde.
Menschen, die voller Loyalität zum Unternehmen gestanden sind, und ganzen Einsatz geliefert haben.

Und dann kam die Kündigung. Oft aus "betrieblichen" Gründen. Weil der Mitarbeiter zu teuer geworden war oder die Buchhaltung ausgelagert. Und damit einher eine große Kränkung. Die Loyalität war offensichtlich einseitig gewesen.
Vor 25 Jahren wurde darüber geklagt, dass Mitarbeiter:innen nicht mehr zählen.

Das war der Zeitpunkt, an dem die große Burnout Welle begann, die bis heute andauert.

 

Quit Quitting und Generationenkonflikt

Quit Quitting ist die Bewegung einer jungen Generation, die hier einen Schritt zurück macht.

Es sind junge Menschen, die verstehen, dass Loyalität immer in beide Richtungen gehen muss.
Dass die "extra Meile" wertgeschätzt und honoriert werden muss, und nicht als selbstverständlich angenommen werden darf.

Und es sind junge Menschen, die viel sensibilisierter auf ihre psychische Gesundheit sind, als es die Generationen davor waren. Persönliches Wohlbefinden erhält einen hohen Stellenwert.

Diese veränderten Werte fordern die ältere Generation heraus.

Wenn wir ältere Generation diese Bewegung ernst nehmen und sie auch als Weckruf betrachten, können auch wir davon profitieren.
Ich verstehe sie als unübersehbaren Hinweis, dass es hier eine Korrektur braucht.

Grenzen setzen ist für mich eine der noch zu wenig beachteten sozialen Kompetenzen der heutigen Zeit.

 

 

Silvia Kessler-Eckhart, 2022

 

Weiterführende Informationen:

Über Veränderungen der Arbeitswelt und psychische Gesundheit: Masterarbeit Silvia Kessler-Eckhart

Angebote für Coaching zum Thema Grenzen setzen: human work coaching